INTERVIEW
»Interessen der Privatwirtschaft allein reichen nicht aus«
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
Das Jahr 2020 ist fest im Griff von Corona-Pandemie und Strukturwandel in der Automobilindustrie. Welche Auswirkungen hat das auf die New-Mobility-Branche?
Die Coronakrise wirkt wie ein Katalysator auf den aktuellen Ausleseprozess bei neuen Mobilitätsdienstleistungen. Steigende Kosten und schärfere Hygienevorschriften bei gleichzeitig sinkender Nutzerzahl setzen vor allem kleinere Akteure im Feld enorm unter Druck. Die Phase des Experimentierens, in der Geld keine Rolle spielt, scheint in jedem Fall vorbei zu sein.
Können Sie den Eindruck bestätigen, dass das Marktumfeld beim MSR-Fokusthema Multimodalität deutlich ruhiger ist als in anderen Mobilitätsbereichen?
Solche Services befinden sich immer noch in einer Frühphase der Entwicklung und sind zugleich sehr voraussetzungsvoll. Akteure müssen eine Vielzahl an Diensten und Verkehrsträgern koordinieren können, es bedarf eines hohen Levels an Datenkompetenz und es darf keine Scheu vor Kooperationen geben. Aus städtischer Sicht stellt man dabei nicht nur positive Effekte fest: Multimodalität erzeugt ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, es gibt schlichtweg mehr Fahrzeuge, die neue Wege absolvieren. Und sie führt dazu, dass Menschen weg von nachhaltiger Mobilität wie ÖPNV oder Zufußgehen hin zum motorisierten Verkehr gezogen werden. Es braucht daher eine koordinierende Instanz, die die verschiedenen Verkehrsträger intelligent unter einen Hut bringt, möglichst untermauert durch eine klare Mobilitätsstrategie.
Wie wird sich das Mobilitätsuniversum weiterentwickeln?
Es bleibt bei der Aufteilung in Ownership- und Sharing-Welt. Bei Charging oder Parking Services wird das klassische Owner-ship-Modell überwiegen, in der Sharing-Welt sieht es indes anders aus: Hier gilt es, Wege zu finden, wie privatwirtschaftliche Player mit öffentlichen Akteuren kooperieren und damit zur Klärung der großen Fragen rund um Mobilität und Umwelt in städtischen Regionen beitragen können. So müssen beispielsweise Fahrdienste als Ergänzung des ÖPNV integriert werden, um beispielsweise Menschen vom Land in die Stadt zu befördern. Das Interesse der Privatwirtschaft allein reicht hier nicht aus.
Kurzvita
Stefan Bratzel ist seit 2004 Leiter des Center of Automotive Management (CAM) und Dozent an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Das CAM ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung.
Der promovierte Politikwissenschaftler ist zudem Verantwortlicher für den Masterstudiengang Automotive Management. Bratzel war zuvor unter anderem Produktmanager beim Automobilhersteller Smart und Programmmanager bei Quam in München.